Ein Steak aus Lumpen DER STANDARD Freitag/Samstag/Sonntag, 24./25./26. Dezember 1999, Seite A7 Album Ein Steak aus Lumpen Das Kuba der Kubanerin Von Ingeborg Sperl Die junge Kunstwissenschaftlerin Claudia wohnt in einem tropischen Paradies, in das es viele Tausende von Touristen zieht. Nur leider gibt es in diesem Paradies namens Kuba keine Arbeit, sondern hoechstens Lebensmittelmarken. Und fuer aufmuepfige Paradiesbewohner gibt es noch weniger als wenig. Claudia muss allein fuer ihr kleines Kind sorgen. Der Vater ist wegen Schwarzhandels im Gefaengnis verschollen. Da es nicht genug Nahrungsmittel gibt und schon gar kein vitaminreiches Obst, geht Claudia nach langem Gewissens konflikt auf den Strich. Hungern oder Prostitution, das sind die Wahlmoeglichkeiten, die junge Frauen in ihrer Situation haben. Die reichen auslaendischen Maenner, die auf der Suche nach einem schnellen Abenteuer sind, wirken im Vergleich zu den Alltagszustaenden fast als das kleinere Uebel. (In Kuba haben uebrigens einheimische Maenner, die in einer Fleischerei arbeiten, die meisten Chancen bei den Frauen, weil sie immer etwas Nahrung abzweigen koennen). Und weil es nie genug Fleisch gibt, versorgt uns Chaviano auch noch mit einem grotesken Kochrezept "fuer ein Steak aus Putzlumpen". Havanna Blues ist indessen keineswegs eine Jeremiade ueber die unertraeglichen Zustaende im Paradies. Dem stehen die Vitalitaet und die Improvisationsgabe, die Wut und die Leidenschaft der Inselbewohner entgegen. Es wird nicht gejammert, sondern gelebt, wenngleich die Autorin selbst da ein wenig dem Maennerklischee von der heissbluetigen, allzeit erotischen Exotin auf den Leim zu gehen scheint und das auch sprachlich ziemlich schablonenhaft abwickelt. Das koennte Castro-Nostalgiker zu der einlullenden Annahme verleiten, dass es sich hier wieder einmal um das schoene Bild von "bettelarm, aber fotogen und gluecklich" handelt und dem entkommt Chaviano wahrlich nur um Haaresbreite. Die Realitaet des alltaeglichen Mangels wird immerhin von den Wesen der jenseitigen Welt konterkariert. Claudia wird naemlich - wie auch manche ihrer Freundinnen - von Geistern heimgesucht. Einer taucht immer dann auf, wenn ihr Leben eine gefaehrliche Wende zu nehmen droht, ein anderer Geist ist eine Mulattin, die Claudia durch das antike Havanna fuehrt. Diese angeblich so furchtbare vorrevolutionaere Zeit, stellt Claudia fest, war jedenfalls nicht so wie die Gegenwart von Elend und Mangel gezeichnet. Eine bittere Antwort auf verordnete Ideologie und Geschichtsfaelschung. Aus der Begegnung mit der Vergangenheit erwaechst Claudia ein neues Bewusstsein fuer ihre Heimat, die geliebte und gehasste. Die Frage, die die jungen Leute unentwegt beschaeftigt, ist, ob sie versuchen sollen, in irgendeinem selbstgebastelten Kahn zu fliehen oder der Misere standzuhalten. Eine Entscheidung, um die auch Claudia nicht herumkommt. Die Autorin hat sie fuer sich bereits gefaellt: sie lebt seit 1991 im Exil in den USA. [] Daina Chaviano, Havanna Blues. Aus dem Spanischen von Yasmin Bohrmann oeS 269,-/297 Seiten, Lichtenberg, Muenchen 1999. © DER STANDARD, 24./25./26. Dezember 1999 Automatically processed by COMLAB NewsBench | |
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